Meine Fotografie << Zurück zum Pressenübersicht  
Ich existiere in dieser schnell-laufenden Welt und beschäftige mich seit bald 29 Jahren mit der Fotografie. Ich versuche, meine eigenen Visionen und die Dinge um mich herum zu erforschen. Jedes Thema kommt auf ganz natürliche Weise zu mir, durch die Neuentdeckung eines alten Kindheits- oder Jugenderlebnisses oder durch Gedanken und Gefühle des jetzigen Lebens. Manchmal wächst eines aus dem ändern hervor, wodurch der Gegenstand für mich an Bedeutung gewinnt.
Ich fotografiere im Vertrauen auf mich selber, auf meine Intuition, meine Vision, meine Begeisterung und Freude. Erst nachdem ich die kleinen Abzüge begutachtet und jedes Stück, jede Serie bearbeitet habe - die Bilder entwickelt, die Farbe festgelegt und Abzüge zusammengestellt -, versuche ich zu begreifen, was es ist, das mich dazu bewog, genau diese Fotos zu machen, was ich daran liebe. Ich bin es gewohnt, jedes Thema eine lange Zeit zu bearbeiten, gleichzeitig zu verschiedenen Fotos Serien zu kreieren, - so wie ich gleichzeitig verschiedene Bücher nebeneinander zu lesen pflege, sie wieder weglege und auf die Themen zurückkomme, wenn ich etwas Neues finde. Ich habe zu jedem meiner Bilder eine eigene Beziehung.
Ich begann mit 15-16 Jahren im "Haus des Pioniers", einer Organisation für Schulkinder in der früheren Sowjetunion, Fotografie zu lernen. Meine ersten Erfahrungen mit eigenen Fotos bewegten mich tief, und ich wollte nach Schulabschluß Fotografie studieren. Doch das war nicht möglich, denn in der früheren Sowjetunion und in der heutigen Ukraine gibt es keine Hochschule, die Fotografie als Kunst lehrt. Also habe ich mir die Technik und Kunst der Fotografie durch Praxis angeeignet, beim Arbeiten in Fotolabors und als Fotografin in verschiedenen Institutionen, durch Freunde, die Fotografen waren, und aus Büchern. Ich las sehr viel, besonders als ich eine Fotoworkshop für Jugendliche aufzuziehen begann. Ich habe als Leiterin in der Kinder- Fotoschule fast elf Jahre gearbeitet. Es war eine sehr wichtige Zeit für mich: unterrichten und dabei selber weiterlernen. Ich bin in dieser Zeit auch von der Tradition der Fotografie in diesem Land beeinflußt worden, von den Fotoamateur-Klubs, welchen ich in meiner Jugend beitrat, Fotografie Gruppen, bei denen ich Mitglied war, und von meinen Kollegen, die ebenfalls Fotoworkshops leiteten. Diese Kollegen waren von größter Wichtigkeit für meine Kreativität in der Fotografie. Ich habe Seminaren, Ausstellungen und Treffen besucht, die von der früheren Sowjetunion veranstaltet wurden, und ich habe an Wettbewerben teilgenommen. Ich studierte sowohl sechs Jahre Technologie der Herstellung und Bearbeitung von Fotokino Stoffen in der Hochschule für Kinoingenieure in Leningrad als auch Fotojournalismus in Kiew. So habe ich überall, wo das möglich war, Fotografie studiert. Und natürlich besuchte ich in den letzten Jahren viele Museen in verschiedenen Ländern, was mich sehr bereichert hat. Viele meiner Arbeiten sind in Schwarzweiß, das ich den Farbfotos vorziehe.
Ich denke, dass jeder von uns im Leben seinen eigenen Kreisen folgt. Es ist uns nur die Freiheit gegeben, uns mit der Zeit aufwärts oder abwärts zu bewegen, und Ich glaube, der glücklichste Mensch ist das "weise Kind" im Alter. Vermutlich ist es gleich mit der Kreativität: Wer sich selber sucht, kommt zu sich selber...
Ich wurde in einer jüdischen Familie geboren und fühlte schon sehr früh einen Unterschied zwischen meinen Verwandten und denen anderer Leute um uns. Wir unterschieden uns in unserem Alltagsleben, in unserer Sprache und in unseren Beziehungen zur Familie. Wir waren Sowjetmenschen, nur zu sehr, aber, wie ich später verstand, sehr verletzlich, weil wir Juden waren. Ich habe mein jüdisches Projekt erst 1985 aufgenommen, in der Zeit der sogenannten Perestroika, und es war sehr wichtig und zentral für mich. Dieses Projekt, das "Jüdisches Album" hieß, enthält: "Familienalbum" - Fotos vom Leben meiner eigenen Familie und Verwandtschaft; "Juden in der Ukraine" - Bilder, welche die Existenz von jüdischem Leben in früheren "Schtetls" (kleinen Städten und Dörfern) dokumentieren; und "Emigranten" - Fotos vom Leben jüdischer Emigranten in den USA, Deutschland und Israel. Schon seit langem mache ich Bilder für mein "Familienalbum", und ich kann nicht sagen, dass ich damit zu Ende bin. Heute befriedigt mich die Art, wie ich das Thema 1987-88 formte, nicht mehr, und ich möchte alle diese Fotos in nächster Zeit neu abziehen, einige neue dazufügen und sie in eine neue Form bringen. Es ist eine Menge Arbeit, natürlich, aber sehr interessant. Ich habe meine Arbeit "Juden in der Ukraine" vorläufig abgeschlossen. Ich fühle, dass ich einige Jahre warten muss und dann vielleicht zurückgehen, um weitere Bilder der selben Orte zu machen. Aber die Serie "Emigranten" fasziniert mich jetzt. Kürzlich war ich zum ersten Mal im Leben in Israel und nahm Bilder meiner dortigen Verwandten auf. Und ich fuhr wieder nach Deutschland und denke viel über das Thema des Wegreisens nach. Für diese Fotos muss ich alles selber erfinden; die Form, Farben, Größen, und alles ist weit entfernt von einem Abschluss, Ich möchte nicht Anbetracht der Sensibilisierung für das "jüdische Problem" in der Welt nur als Fotografin jüdischer Themen betrachtet werden.
Wie gesagt liebe ich es seit meiner Kindheit, die Gesichter von Leuten zu beobachten. Ich erinnere mich daran, wie meine Eltern, während sie auf den kleinen Fernsehbildschirm schauten, redeten - dieses Gesicht ist sympathisch oder nicht. Als ich mit fünfzehn, sechzehn Jahren anfing, Fotos zu machen, versuchte ich, die Gesichter der Leute so nahe wie möglich aufzunehmen, wie ich es auf unserem kleinen Bildschirm gesehen hatte. Ich fotografierte oft aus der kürzestmöglichen Distanz (80 cm bei meiner kleinen Kamera) und benutzte dazu ein spezielles Meßband, mit dem ich den Abstand zwischen der Nase der Person und meinem Apparat maß. Das wirkte komisch und die Leute belächelten mich und meine Methode, aber ich nahm es sehr ernst, denn ich wollte keinen Fehler mit der Distanz machen. Und es half mir, während des Fotografierens eine gute Stimmung zu schaffen. Seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit Porträts von Personen und habe dabei eine "romantische" und später "psychologische" und "realistische" Phasen durchlaufen. Aber ich ändere mich, und meine Porträts sind ebenfalls nicht mehr gleich wie früher. In letzter Zeit schaue ich länger und behutsamer. Die eiligen Bilder am Fernseher habe ich nicht gern.
In der Serie "Aktporträts" habe ich verschiedene Porträts von Personen zusammengestellt, die für mich nicht einfach Modelle sind, sondern Menschen, die ich kenne und die mir vertrauen. Wie immer genieße ich es sehr, Porträts aufzunehmen, und die Leute, die ich fotografiere, fühlen sich wohl vor der Kamera und sind nicht verlegen, obwohl sie nackt sind. Alles muss ganz natürlich und weich sein, ohne jede Unechtheit. Ich habe so viele Bilder von schönen nackten Fragen gesehen, die von Männern fotografiert worden sind. Ich wollte nie das gleiche tun. Für mich ist der Mensch sehr wichtig, wie natürlich auch alle anderen Dinge, Alle können schön sein, wie eine einmalige Schöpfung Gottes, es hängt nur von der Sicht ab.
In meiner Jugend schaute ich mir die Stilleben in den Museen nicht gerne an und empfand die Schönheit des klassischen Stillebens nicht einmal in der Fotografie. Heute verstehe ich das gar nicht mehr, weil ich mich so verändert habe. Vielleicht begann ich auch andere Dinge besser zu sehen, nachdem ich gefunden hatte, was für mich am attraktivsten war. Ich weiß es nicht.
Ich erinnere mich daran, wie gern ich in meiner Kindheit Glas anschaute und durch Glas hindurchschaute, Fenster, Wände, und überall Bilder entdeckte. Offengestanden liebe ich es jetzt noch, auf diese Art vor mich hinzusinnen.
Die Serie "Mein Zuhause" ist meine Entdeckung der Schönheit gewöhnlicher Gegenstände in meiner Umgebung: Wie schön, das Stück Käse auf dem groben braunen Papier am Morgen, oder die Schüssel mit der Kirschenkonfitüre, oder die für diese Konfitüre gewaschenen Gläser, oder die gewöhnlichen Wassertropfen an den Gläsern, oder ein Fisch in der alten Aluminiumschüssel, oder mein Küchenfenster, das ich oft fotografiert habe, oder der nasse Boden aus altem Linoleum vor, während und nach dem Wischen; oder viele andere Dinge, die ihr eigenes Leben "leben". Das Fotografieren faszinierte mich so sehr, dass ich in dieser Zeit von der Haushaltsarbeit nicht müde wurde. Ich finde, das Bett ist ein sehr interessantes Objekt zum Fotografieren: Es kann wie der Gipsabdruck einer Skulptur aussehen, oder wie Hügel, oder wie sonstwas, manchmal warm, manchmal kalt... Vielleicht werde ich eigens eine Serie über das Bett machen. Die Serie "Mein Zuhause" beinhaltet "Geschichten" über die Küche, den Lappen, das Bett, das Fenster, die Reparaturen in unserer Wohnung und vieles mehr, das ich gar nicht beschreiben kann. Es ist eigentlich nicht ein "Still"- Leben, sondern eher ein lebendiges Leben von meinem Zuhause.
Als ich 1993 - das einzige Mal in meinem Leben - in den USA weilte, besuchte ich das Metropolitan Museum in New York und sah den Japanischen Garten, der mich sehr faszinierte. Ich werde den kubischen Stein mit dem fließenden Wasser nie vergessen. Ich schaute ihn lange an und konnte mich nicht an ihm satt sehen. Ich glaube, dass meine Serie "Lebensatem", die Serie über Kräfte, dort ihren Ursprung hat. Ich erinnere mich daran, wie die Idee nach einem langen Nachdenken zu mir kam: Meine Meditation erinnerte mich an eine lange Belichtungszeit in der Fotografie. Wie lange können die Bilder von sich im Wind bewegenden Bäumen oder von fließendem Wasser oder der Lebenskraft des Meeres in unserer inneren Vorstellung bleiben, wenn wir die Augen schließen und den Ort verlassen? Was für Bilder können wir vor unseren Augen sehen und wie ist es möglich, diese Visionen und die Gefühle, die sich unser angesichts solcher Naturkräfte bemächtigen, in der Fotografie auszudrücken? - Ich begann, mit langen Belichtungszeiten ans Fotografieren zu gehen und damit neue technische und kreative Möglichkeiten zu erforschen. Ich weiß, dass das ein langer Weg ist und lasse mich ganz darauf ein. Die Serie "Lebensatem" besteht aus vier Teilen: "Bäume", "Wind", "Wasser", "Feuer". Bis jetzt habe ich die Bilder des ersten Teils, obwohl ich noch nicht fertig bin, und nähere mich dem Thema "Feuer" erst.
Ich liebe es, von meinem Fenster aus die gleichen Bäume in den verschiedenen Jahreszeiten zu beobachten und zu fotografieren. Wir wohnen seit mehr als 33 Jahren in dieser Wohnung im vierten Stock, und die Bäume vor unserem Haus sind schon hoch geworden oder abgestorben, aber sie leben ein eigenes Leben. Diese Bäume stellen den ersten Teil der Serie dar. Es mag merkwürdig scheinen, aber die meisten der Bilder zum Thema "Wind" habe ich auch von meinem Fenster aus aufgenommen... "Wasser", Lebenswasser, enthält Bilder vom Regen, Brunnen, dem Fluß und dem Meer. Beim Arbeiten an dieser Serie habe ich so viele Entdeckungen gemacht. Zum Beispiel bin ich Hunderte von Malen an den Brunnen im Stadtzentrum vorbeigegangen. Eines Tages sah ich etwas, was ich fotografieren wollte. Dann kam ich mehr als einmal mit der
Kamera und machte Bilder von den Brunnen. Es ist so einfach - das fließende Wasser und nichts anderes - aber es war so interessant, es aufzunehmen! Ich hatte diesen Ort zuvor doch so viele Maie gesehen, wenn ich während einiger Jahre zu meiner Arbeit ging oder von ihr kam. ich machte sogar Fotos, aber nie erfaßte ich Wasser wie jetzt.
Die nächste Serie, "Die Gesichter der Körper", ist eine Serie von Porträts. Die Idee ist sehr einfach: Die Torsos von Menschen sehen aus wie ihre Gesichter, sind das zweite Gesicht einer Person. Ich arbeite erst etwas mehr als ein Jahr an diesem Thema, und es packt mich sehr. Ich begann mit einer Foto: Ich nahm für die Serie "Aktporträts" das Bild einer interessanten jungen Frau auf und nahm, als ich den Abzug betrachtete, ihren Körper ganz deutlich als ein Gesicht wahr. Ich zeigte das Foto einigen Freunden und versuchte, sie darauf aufmerksam zu machen, aber sie verstanden mich nicht. Dann begann ich mit meinen Negativen zu arbeiten und fand einige interessante "Gesichter" unter den Aufnahmen, die ich früher gemacht hatte. Ich mache auch neue Porträts für diese Serie, aber nicht so viele, wie ich gerne möchte. Ich sehe viel Tiefgründiges, wenn ich diese "Körpergesichter" betrachte, Paare zusammenstelle - Frau und Mann, Mutter und Tochter, Vater und Sohn, und auch ganz verschiedene Personen. Manchmal ist es merkwürdig. Ich empfinde nicht einmal einen erotischen Aspekt: Nur Gesichter und Gesichter. Diese Bilder erinnern mich an ein Lied aus meiner Kindheit: "Pünktchen, Pünktchen, Komma, Strich - fertig ist das Angesicht". Die realen Torsos von Personen auf den Fotos sind eigentümliche "abstrakte" Gesichter.
Ich liebe das Fotografieren, aber ich entwickle auch gern neue Fotos und gebe den Bildern verschiedene Farben. Alles ist wichtig: die Farbe, der Rahmen, die Qualität des Fotopapiers, die Größe der Fotos. Ich erinnere mich daran, wie viel Zeit ich darauf verwandte, als ich eine bestimmte kleine Große und Farben für die Serie "Mein Zuhause" suchte: Ich nahm seit 1984 Bilder für diese Serie auf, aber erst 1994/95 machte ich Abzüge, die mich befriedigten. Ich arbeite lieber mit mattem Papier, weil es den Schwarzweißbildern einen speziellen "Duft" verleiht. Gern verwende ich auch die Sepia-Tönung, die ich für die meisten Bilder der Serie "Aktporträts" benutzt habe, obwohl einige von ihnen, finde ich, eindeutig schwarzweiß sein sollten. Die Farbe Blau, die ich für Wind und Wasser gefunden habe, ist sehr wichtig für mich. Ich wählte beim Entwickeln Blau für diese Bilder, weil es für mich so offensichtlich war. Dann, als ich etwas über jüdische Meditation las, entdeckte ich, dass die Farbe Blau im Talmud Kontemplation darstellt. Ich war sehr glücklich, dass ich das intuitiv gespürt hatte.
Ich lebe noch in Kiew in der Ukraine, dem "arm-reichen" Land, wo die meisten Menschen durch Armut gedemütigt werden, wo das Leben hart ist und jeder versucht, irgendwie durchzukommen. Meine Fotografie - für mich mein Licht und mein Schatten, meine Träume und meine Gedanken, meine harte Arbeit und meine Freude, - mein Atem.



Rita Ostrowskaja. Meine Fotografie. Katalog, Journal of Photography & Video. Odense, Dänemark. Frühling 1998.
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